Regionalbischof Brandy fordert Widerstand gegen Verschwörungsmythen

Nachricht Stade/Elbe-Weser-Raum, 26. Mai 2020

Hans Christian Brandy wendet sich mit Brief an Geistliche

Stades evangelischer Regionalbischof Hans Christian Brandy hat Verschwörungsmythen im Zusammenhang mit den Protesten gegen Corona-Schutzmaßnahmen scharf kritisiert. Da sei "viel schlimmer Unfug" zu hören, schrieb Brandy in einem Brief an alle Pastorinnen und Pastoren in der hannoverschen Kirchenregion zwischen Elbe und Weser. "Da werden wir alle entschlossen dagegenhalten", kündigte er an. Bei Corona-Lockerungen wolle die Kirche wie bisher vernünftig und ethisch verantwortet Schritt für Schritt gehen.

Brandy machte aber auch deutlich, dass eine kontroverse Debatte über die Corona-Krise nach demokratischen Regeln wichtig ist. Während in der Zeit des schnellen Lockdowns eine große Geschlossenheit zu spüren gewesen sei, seien nun in der Zeit der langsamen Öffnung wachsende Spannungen spürbar. Das könne auch kaum anders sein, wo es um so viel gehe: "Und ein offener Diskurs ist in einer offenen Gesellschaft unverzichtbar."

Mit dem Brief sagte Brandy auch den jährlichen Generalkonvent der Kirchenregion ab, der am 24. Juni geplant war. Thema der Vollversammlung aller landeskirchlichen Pastorinnen und Pastoren im Elbe-Weser-Raum wären eine Standortbestimmung und Perspektiven zur Kirche in der digitalen Welt gewesen. Möglicherweise solle das Thema nächstes Jahr noch einmal aufgenommen werden, schrieb Brandy: "Dann aber von einem ganz anderen Erfahrungsniveau aus."

Dieter Sell, Evangelischer Pressedienst Niedersachsen-Bremen

Der Brief an die Geistlichen im Sprengel Stade im Wortlaut

Liebe Schwestern und Brüder,
in normalen Zeiten hätten Sie jetzt die Einladung zum Generalkonvent erhalten. In diesem Jahr ist er abgesagt – wie schon so viel Anderes. Solches Kalenderaufräumen ist längst Routine für uns alle. Diese Absage aber schmerzt mich besonders. Gerade jetzt: Wie gern hätte ich wieder mit Ihnen Gottesdienst gefeiert, wie gern hätte ich im großen Kreis aller Ordinierten in der Rotenburger Stadtkirche Brot und Kelch geteilt. Die Freundlichkeit unseres Gottes und unsere Gemeinschaft so leibhaftig zu spüren, das fehlt mir.

Unser Thema beim Generalkonvent wäre „Kirche in der Digitalen Welt“ gewesen. Die Vorbereitungsgruppe (vielen Dank!) hatte, wie wir sehen, einen ausgezeichneten „Riecher“. Auf dem Weg in digitale Formen von Kommunikation, Verkündigung und auch Kirche-Sein sind wir in den letzten Monaten gewiss unerhört vorangekommen. Das wird bleiben. Mal sehen – vielleicht können wir im kommenden Jahr beim Generalkonvent das Thema mit einem gewissen Abstand noch einmal aufnehmen, dann aber von einem ganz anderen Erfahrungsniveau aus.

Während in der Zeit des schnellen Lockdowns eine große Geschlossenheit zu spüren war, erleben wir in der Zeit der langsamen Öffnung, dass die Spannungen in der Gesellschaft größer werden. Das kann auch kaum anders sein, wo es um so viel geht. Und ein offener Diskurs ist in einer offenen Gesellschaft unverzichtbar. Ziemlich viel schlimmer Unfug ist aber auch zu hören und bestimmt überproportional stark die Schlagzeilen. Da werden wir alle entschlossen dagegenhalten. Und wie bisher vernünftig und ethisch verantwortet Schritt für Schritt gehen. Dabei gelten selbstverständlich wie bisher die staatlichen Ordnungen und die Empfehlungen der Landeskirche - gleichwohl kommt es jetzt zunehmend auf vor Ort wahrgenommene Verantwortung an – in evangelischer
Freiheit und unter Einsatz des gesunden Menschenverstandes. Dazu
ermutige ich Sie ausdrücklich. Soweit ich höre, gelingt das bisher sehr gut.

Uns allen geht es vermutlich so, dass die freien Plätze im Kalender in Spannung stehen zu äußerst ausgefüllten und anstrengenden Tagen. Aber natürlich sind die Erfahrungen unterschiedlich. Für manche sind die Wochen unerhört anstrengend, besonders für die, die jetzt neben dem Dienst Kinder daheim zu betreuen haben. Auch die Sorge um alte Eltern und andere Menschen kann sehr belasten. Etliche haben neben aller Arbeit auch ungewohnte persönliche Freiräume erlebt – und das ist doch auch gut so.

Wie das alles unsere Kirche verändern wird? Wir werden das gemeinsam im
Blick auf Theologie, Verkündigung und Kirchenbild sorgsam beobachten und
reflektieren. Manches Gute wird bleiben, nicht nur im Blick auf neue digitale
Wege. Unsere Kirche wird hinterher nicht dieselbe sein wie vorher. Aber auch Anfechtungserfahrungen bleiben natürlich. Manches wird uns nicht erspart bleiben, ein schmerzhafter Rückgang der Finanzen etwa. Aber noch fehlt der Abstand für ein klares Bild. Ich bin gespannt auf Gespräche mit Ihnen dazu im Laufe der Zeit.

In jedem Fall: Nicht nur digital, auch auf viele andere Weise sind Sie in den
letzten Monaten den Menschen nahe gewesen. Hilfen wurden durch Gemeinden organisiert, Masken von Ehrenamtlichen genäht, Andachten ausgelegt, neue Gottesdienstformate ausprobiert, Podcasts und Videos erstellt. Und auch Sterbende und Trauernde haben Trost und Zuspruch erfahren. Ich bin sehr beeindruckt von all der Kreativität, der Zugewandtheit, dem Einfallsreichtum.

Auch öffentlich wurde das ja stark wahrgenommen. Bleiben wird auf jeden
Fall die Erfahrung, dass wir auch unter stark veränderten Rahmenbedingungen Kirche Jesu Christi sein können. Unsere Kirche hat unerhört flexibel auf die veränderten Rahmenbedingungen reagiert und tut es weiterhin – und das ist vor allem Ihnen zu verdanken. Für Ihr verlässliches und kreatives Engagement vor Ort möchte ich Ihnen von Herzen Dank sagen!

Ich wünsche Ihnen Kraft und Geduld, Zuversicht und Geistesgegenwart für die kommende Zeit. Gottes Geist, den wir Pfingsten feiern, sei mit Ihnen, ermutigend und tröstend, inspirierend und erneuernd.

Kommendes Jahr treffen wir uns – so Gott will und wir leben – zum Generalkonvent.

Herzliche Grüße

Ihr und Euer
Dr. Hans Christian Brandy

Sonja Domröse, Pressesprecherin Sprengel Stade