Die evangelische Kirche braucht nach Einschätzung von Expertinnen und Experten vielfach eine neue Praxis lebensbegleitender Rituale wie Trauungen, Taufen und Bestattungen. Traditionelle Formen, Orte ohne persönliche Bezüge und die Organisation in oftmals nicht mehr vertrauten kirchlichen Strukturen hätten Einfluss auf die Nachfrage nach solchen sogenannten Kasualien, hieß es am Mittwoch in Rotenburg bei einer Konferenz landeskirchlicher Pastorinnen und Pastoren aus der Elbe-Weser-Region. „Wir müssen uns von alten Vergewisserungen lösen und neu nachdenken“, sagte der evangelische Landesbischof Ralf Meister.
Angesichts teils knapper Ressourcen und beschränkter Möglichkeiten warnte der Bischof aber auch vor Überforderungen: „Das führt zu Frust und Lähmungen.“ Allerdings müsse mit Blick auf die Kasualien und die Bedeutung der Kirche insgesamt wahrgenommen werden, dass klassische Formen „mit Rasanz“ hinterfragt würden.
Der Mainzer Theologieprofessor Kristian Fechtner verdeutlichte, der „behördliche Zuschnitt“ kirchlicher Kasualien treffe inzwischen auf die individuellen Bedürfnisse der Menschen und die Konkurrenz freier Ritualgestalter. „Wir brauchen eine Neubestimmung der Kasualien als Dienstleistung im kirchlichen Kontext“, forderte er.
Die Hamburger Pastorin und Ritualgestalterin Meike Barnahl bekräftigte, die Kirche habe längst kein Monopol mehr bei der Gestaltung lebensbegleitender Feste. Überdies spiele die innerkirchliche Organisationsform für die Menschen keine Rolle. Die Bereitschaft, Schnittstellen des Lebens im kirchlichen Rahmen zu gestalten, sei „nicht so groß“. Andererseits: „Die Sehnsucht nach Segen, Begleitung und 'passt-zu-mir' ist total groß.“
Barnahl leitet die evangelische Ritualagentur „st. moment“ in Hamburg. Dort, ergänzte die evangelische Theologin, stünden die Bedürfnisse der Menschen im Vordergrund, die mit dem Wunsch nach einer Taufe oder Trauung kämen: „Wir wollen genau hinhören - und wir wollen mit den Menschen gemeinsam gestalten.“
„Wir haben nicht den Auftrag, Segen zu verwalten, sondern Segen zu verschenken“, betonte Barnahl. Zur Lage sagte sie, die Nachfrage nach kirchlichen Kasualien habe enorm abgenommen, und zwar im ländlichen Raum genauso wie in den Städten.
Vor diesem Hintergrund warb sie dafür, auf neue Formen und Orte sowie auf kirchlich-lebensbegleitende Rituale ganz allgemein einen Schwerpunkt in der Arbeit zu setzen: „Meiner Meinung nach müssen die Kasualien eine der Hauptprioritäten in unserer Kirche sein.“ Stades Regionalbischof Hans Christian Brandy betonte am Rande der Konferenz im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd), Kasualien seien ganz nah am kirchlichen Auftrag - „und an der Gesellschaft“.
Dieter Sell, Evangelischer Pressedienst