Vieles hat sich in dem halben Jahrhundert seit der Gründung der evangelischen Lebensberatungsstelle in Rotenburg geändert, einiges ist aber auch gleich geblieben. Darüber sprachen Hartmut Ladwig und Sonja Windel während eines Pressetermins in den Räumen der Beratungsstelle in der Glockengießerstraße 20.
„Die Menschen kommen zu uns, weil sie nicht mehr weiterwissen“, sagt Windel. Sie arbeitet seit 16 Jahren in der Beratungsstelle und ist seit 2017 fachliche Leiterin für die Arbeitsbereiche der Lebensberatungsstelle. Dazu gehören neben der Lebensberatung die Erziehungsberatung und die Schwangerenberatung. Weitere Beratungsstellen im diakonischen Werk des Kirchenkreises Rotenburg sind die Schwangerenberatung, die Schuldenberatung, die Migrationsberatung, die Jugendmigrationsberatung, die Kirchenkreis-Sozialarbeit sowie Wildwasser – Beratungsstelle gegen sexualisierte Gewalt.
Erschöpfung, Ohnmacht, Traurigkeit – so beschreibt die Diplom Sonderpädagogin FH und systemische Familientherapeutin Windel ein paar der Hauptbefindlichkeiten von Ratsuchenden, wenn sie das erste Mal zu ihr kommen. „Viele können gar nicht sagen, wo das Problem liegt. Das müssen wir im Gespräch dann erst einmal herausarbeiten.“
Das war schon vor 50 Jahren so, bestätigt Ladwig. Er kam als Diplom Pädagoge in die 1973 von der Landeskirche Hannovers neu gegründete evangelische Lebensberatungsstelle, die damals noch Am Kirchhof 12 ihren Sitz hatte. In dieser Zeit fand Lebensberatung üblicherweise am Küchentisch der Pfarrersfrauen statt. Beziehungs- und Erziehungsprobleme, Vereinsamung, Geldsorgen, Gewalt – die Hauptgründe für die Krisen von Menschen waren damals dieselben wie heute, auch wenn sich die konkreten Anlässe und Beratungsinhalte in Abhängigkeit von den gesellschaftlichen Entwicklungen bis heute immer wieder gewandelt haben.
Zurzeit dominieren Beratungen über Trennung und Scheidung. Als Folgen der Corona-Pandemie haben zudem die Beratungen von Menschen mit Vereinsamung, Ängsten und/oder Depressionen zugenommen. Bei Kindern und Jugendlichen sind es Probleme durch zu viel Medienkonsum wie etwa Vereinsamung, dazu kommen Probleme mit der Schule, der Familie und Mobbing. Auch häusliche und sexualisierte Gewalt nimmt als Beratungsinhalt zu, weil immer mehr Menschen sich trauen, darüber zu sprechen.
Vor 50 Jahren hatte sich die Erkenntnis in der Landeskirche Hannovers durchgesetzt, dass die Beratung sich professionalisieren musste und die Humanwissenschaften inzwischen relevante Methoden für Beratung und Seelsorge hervorgebracht hatten. In allen sieben Sprengeln sollten Beratungsstellen eingerichtet werden, in denen Menschen von Fachkräften betreut, aber auch Theologen fortgebildet werden. In Rotenburg wurde eine der ersten errichtet.
Eine klare Trennung zwischen Therapie und Beratung gab es damals noch nicht. Heute ist die Therapie Aufgabe des Gesundheitssystems und die Beratung Aufgabe des Sozialsystems. Gesetzlich verankert und damit finanziell gefördert sind allerdings nur die Erziehungsberatung und die Schwangerenberatung. Für Anliegen von kinderlosen Erwachsenen wie etwas die Paarberatung oder die Lebensberatung einer einzelne Person gibt es keine staatlich Förderung. Da übernimmt der Kirchenkreis Rotenburg die Finanzierung komplett selbst.
„Das ist unser diakonischer Auftrag: Wir lassen niemanden vor der Tür stehen. Jede und jeder kann anrufen. Das macht einen riesigen Unterschied“, sagt Windel. Dabei schätzt sie die enge Vernetzung unter den einzelnen Beratungsstellen sehr. „Manchmal kommen Menschen mit einem Erziehungsproblem zu uns und dann stellt sich heraus, dass es eigentlich ein Trennungsproblem ist und zusätzlich noch ein Schuldenproblem vorliegt“, sagt Windel. Dann sind die Wege im eigenen Haus kurz.
Insgesamt arbeiten in den sieben Beratungsstellen des Diakonischen Werks in Rotenburg zurzeit 27 hauptamtlich Mitarbeitende mit unterschiedlichen Stellenanteilen. Dreieinhalb Planstellen davon besetzt die Lebensberatungsstelle. Allein dort hat es in 50 Jahren mehr als 30.000 Beratungsprozesse gegeben. „Manche Menschen müssen wir nach dem Erstkontakt ins Gesundheitssystem weiterverweisen“, sagt Windel. Bei vielen erreichen die Beratenden nach ein bis drei Stunden aber bereits eine Stabilisierung der Situation. Manchmal reicht auch schon eine erste Begegnung aus. „Es hat so gut getan, mal alles zu erzählen!“ – Auch diese Aussage hören die Mitarbeitenden.
Die Krisensituationen werden sich auch in den nächsten 50 Jahren weiter verändern. Das offene Ohr und die professionelle Beratung in der evangelischen Beratungsstelle Rotenburg werden hoffentlich weiterhin für alle Menschen da sein.
Anette Meyer, Öffentlichkeitsarbeit Kirchenkreis Rotenburg/Wümme