Die Synode des Ev.-luth. Kirchenkreises Rotenburg hat auf ihrer jüngsten Sitzung ein Schutzkonzept zur Prävention sexualisierter Gewalt verabschiedet. Die Sexualpädagogin Friederike Freundlieb hatte es als Teil einer Steuerungsgruppe aus dem Kirchenkreis innerhalb eines Jahres erarbeitet und nun zur Abstimmung vorgelegt. „Damit ist die eigentliche Arbeit nicht abgeschlossen, sondern sie beginnt jetzt erst richtig“, erklärt Superintendent Dr. Michael Blömer während eines Pressegesprächs in Rotenburg.
Die Landeskirche Hannovers hat alle Kirchenkreise dazu aufgerufen, bis Ende 2024 ein Schutzkonzept vorzulegen. Der Kirchenkreis Rotenburg hat das sehr ernst genommen und sich Unterstützung geholt. Die Expertin Freundlieb wurde vor einem Jahr extra dafür eingestellt, den Schutzprozess zu begleiten und die haupt- und ehrenamtlich Aktiven in den Kirchengemeinden und auf Kirchenkreisebene dabei zu unterstützen, ein Schutzkonzept umzusetzen. Die Finanzierung ihrer Stelle erfolgt mit Fördergeldern der Niedersächsischen Wohlfahrtspflege und aus Mitteln des Kirchenkreises.
Das Schutzkonzept enthält einen genauen Handlungsleitfaden für den Verdachtsfall und Vorgaben, nach denen die einzelnen Kirchengemeinden und Institutionen im Kirchenkreis eine jeweils eigene Risikoanalyse aufstellen, um zu identifizieren, an welchen Stellen bei ihnen bestimmte Strukturen sexualisierte Gewalt begünstigen. Das können bauliche Gegebenheiten sein, wie beispielsweise abgelegene Räume, aber auch das Erkennen von Machtgefälle, wie es natürlich auch in der evangelischen Kirche im Miteinander auftritt und Möglichkeit zum Ausnutzen bietet. Hier bedarf es großer Sensibilität beispielsweise in Hinblick auf hierarchische Gefälle, emotionale Verletzlichkeit in seelsorgerlichen Situationen, körperliche Unterlegenheit zwischen alten und jungen Menschen oder Abhängigkeit der Teilnehmenden von Gruppenleitungen.
Freundliebs Aufgabe wird es nun sein, hauptamtlich und ehrenamtlich Mitarbeitende zu schulen, um sie für bestimmte Arten von Grenzverletzungen zu sensibilisieren. „Wir wollen hier eine Grundhaltung etablieren, die Anzeichen wahrnimmt und sie auch anspricht“, sagt Hartmut Ladwig, Vorsitzender der Kirchenkreissynode. Wie wichtig das ist, weiß Angela Hesse, Leiterin des Diakonischen Werks im Kirchenkreis Rotenburg. Sie hat sich schon in den 1980er Jahren für die Rechte von Frauen in der Region eingesetzt. „Jeder bekam mit, was auf dem Dorf so passierte, aber darüber wurde nicht gesprochen. Opfer zu unterstützen war nicht üblich“, erinnert sie sich.
Dabei müssen Übergriffe nicht immer einen klaren Straftatbestand erfüllen. Grenzverletzungen beginnen viel früher und sind nicht immer so leicht zu erkennen. „Nähe und Distanz empfinden alle Menschen anders“, erklärt Freundlieb, die in ihren Schulungen darüber mit den Teilnehmenden nachdenkt und spricht.
Bestandteil des Schutzkonzeptes sind neben der Potenzial- und Risikoanalyse vor Ort und Schulungen auch das Vorlegen von Führungszeugnissen für Personen, die mit Kindern, Jugendlichen oder Personen in anderen Obhutsverhältnissen arbeiten. Dazu kommen Selbstverpflichtungserklärungen und ein klares Beschwerdemanagement, das sowohl Ansprechpersonen für Menschen bereithält, die einen Verdacht haben als auch für Betroffene. „Es ist wichtig zu betonen, dass es keine internen Verfahren sind, die die Institution schützen“, sagt Freundlieb.
Etwa 100 Personen hat sie bisher bereits geschult. „Ich erlebe eine große Bereitschaft, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Wir dürfen nicht in die Falle tappen zu glauben: Bei uns gibt es das nicht.“ Superintendent Blömer ist froh, die Expertin mit an Bord zu haben. „Nur ein Schutzkonzept in der Tasche zu haben, reicht uns nicht. Wir möchten ein achtsames Verhalten im Kirchenkreis weiterentwickeln, das Grenzverletzungen erkennt und benennt.“
Anette Meyer, Öffentlichkeitsarbeit Kirchenkreis Rotenburg