Aufrecht in den Tod
Von Dieter Sell (epd)
Bremen/Fischerhude (epd). Sie konnte es kaum glauben. "Das war ein Schlag ins Gesicht. Ich bin so sehr vom Leben überzeugt und liebe die Menschen so unendlich, dass ich gar nicht daran glaube, dass es wahr wird", schrieb die junge Cato Bontjes van Beek am 18. Januar 1943 im Strafgefängnis Berlin-Plötzensee an einen Mithäftling. Zuvor war die 22-Jährige von Hitlers Reichskriegsgericht zum Tod durch das Fallbeil verurteilt worden, wegen "Beihilfe zur Vorbereitung des Hochverrates und zur Feindbegünstigung". Am 14. November vor 100 Jahren wurde die NS-Widerstandskämpferin in Bremen geboren.
Anders als etwa Sophie Scholl ist die junge Frau, die sich in Berlin der Widerstandsgruppe um den Luftwaffenoffizier Harro Schulze-Boysen und seine Frau Libertas anschloss, weitgehend unbekannt. Dabei gibt es einige Parallelen: Beide waren im gleichen Alter, künstlerisch begabt, gefühlvoll, liebten die Natur. Cato träumte darüber hinaus von der Fliegerei. "Wie Sophie Scholl ist sie ein Vorbild für Mut und Entschlossenheit im Kampf gegen das verbrecherische NS-Regime", schreibt der Bremer Publizist Hermann Vinke in seinem neuen Buch über die Frau, die im niedersächsischen Fischerhude aufwuchs.
Von den Nazis wurden die Aktivistinnen und Aktivisten um Schulze-Boysen sowie Arvid und Mildred Harnack als "Rote Kapelle" bezeichnet. Cato Bontjes van Beek beteiligte sich in diesem Kreis an der Herstellung von Flugblättern, die sich gegen Krieg und Nazi-Terror richteten. Mit ihrer Schwester Mietje unterstützte sie auch französische Kriegsgefangene.
Der Titel des Vinke-Buches "Leben will ich, leben, leben" ist ein Zitat aus eben dem Brief, den Bontjes van Beek nach ihrem Todesurteil am 18. Januar 1943 verfasste und in dem sie auch schrieb, sie habe nicht um ihr Leben gebettelt.
Wie Sophie Scholl habe sie ruhig und aufrecht das Schafott bestiegen, hält Vinke fest. Vor ihrer Ermordung am 5. August 1943 habe sie einen geistigen Widerstand entwickelt, "der sie zu einem zeitlosen Vorbild macht für Mut, Unbeugsamkeit und Auflehnung gegen ein verbrecherisches Regime, ein Vorbild, das heute vor allem auch junge Leute ansprechen kann".
Cato, die in der Familie Dodo gerufen wurde, schrieb über sich selbst, sie sei nicht politisch. "Ich will nur eins sein, und das ist: ein Mensch." Sie wuchs freigeistig in einer Künstlerfamilie auf. Jan Bontjes van Beek, der Vater mit niederländischen Vorfahren, war Keramiker, ihre Mutter Olga eine vielbeachtete Malerin und Ausdruckstänzerin. Ihr Elternhaus war von Weltoffenheit und Gastfreundschaft geprägt, eine kulturelle Insel mitten in einem Bauerndorf.
Nicht nur ihr Onkel, der Maler Otto Modersohn, auch Künstler wie Heinrich Vogeler, Bernhard Hoetger, Clara Rilke-Westhoff und Franz Radziwill gingen hier ein und aus. Zuweilen verwandelten sie die kleine Küche des Hauses an der Fischerhuder Bredenau in einen politischen Debattierklub. Ohne die Weltoffenheit des Fischerhuder Künstlerkreises, zwei Schuljahre in Amsterdam und einen längeren Aufenthalt in England hätte Cato wohl kaum etwas von dem widerständigen Geist erfahren, der sie später zum Protest gegen das Hitler-Regime trieb.
Sie sei nie in Gefahr gewesen, von der Nazi-Ideologie beeinflusst zu werden, schrieb Altbundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) am 28. Mai 2003 in einem Beitrag für die Wochenzeitung "Die Zeit". Vor dem Krieg als Soldat in Bremen-Vegesack stationiert, war er ebenfalls oft Gast im idyllischen Fischerhude, fasziniert vor allem von der Mutter und dem Haus, das für ihn zum "Inbegriff der Freiheit" wurde.
Dazu waren es wohl der Konfirmandenunterricht des Fischerhuder Pastors Günter Tidow und die Weltliteratur in der Studierstube des Theologen, die das Denken und Fühlen des jungen Mädchens mit formten. In Tidows Bücherregalen entdeckte Cato Werke von Fjodor Dostojewski, Leo Tolstoi, Maxim Gorki, Albert Schweitzer - und die Bibel. Nach der Scheidung ihrer Eltern zog sie im Herbst 1939 nach Berlin und machte eine Ausbildung als Keramikerin in der Werkstatt ihres Vaters. "Dort fand sie sich fast selbstverständlich in einem Kreise von Freunden und Bekannten wieder, die alle Hitlers Herrschaft ablehnten", schrieb Schmidt.
In ihren letzten Monaten habe sie ganz und gar aus der Bibel gelebt, erklärt der Berliner Kirchenhistoriker Johannes Wallmann, ein weitläufiger Verwandter von Cato Bontjes van Beek. Das zeigten die Briefe, die sie zwischen Verurteilung und Hinrichtung geschrieben habe. So ist in einer Nachricht an ihren Bruder Tim vom 26. April 1943 zu lesen: "Wenn man die Bibel bei sich hat, ich glaube, man braucht dann kein anderes Buch, das erkenne ich immer mehr, und auch meine Gläubigkeit, die bisher in mir schlummerte, habe ich nun wahrhaftig entdeckt."
Das Bemühen von Catos Mutter Olga, nach dem Krieg das Todesurteil gegen ihre Tochter für ungültig erklären und sie rehabilitieren zu lassen, blieb jahrzehntelang ohne Erfolg. Erst 1999, mehr als ein halbes Jahrhundert nach dem Ende der NS-Unrechtsjustiz, wurde es aufgehoben. Umso mehr zählt der Publizist Vinke Cato Bontjes van Beeks Briefe und Kassiber aus der Haft zu den eindrucksvollsten Zeugnissen einer politischen Gefangenen während der NS-Zeit: "Dass sie den Weg in den Widerstand aufrecht und ungebrochen bis zum Schafott gegangen ist, lag an dem geistigen Fundament, auf dem sie sich bis zuletzt sicher bewegte." (9033/09.11.20)
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Cato Bontjes van Beek und die Fischerhuder Gemeinde
Fischerhude (epd). An jedem 5. August wird in der evangelischen Liebfrauenkirche im niedersächsischen Fischerhude bei Bremen die Seite des Totengedenkbuches mit dem Namen von Cato Bontjes van Beek (1920-1943) aufgeschlagen. Sie erinnert an eine junge Widerstandskämpferin, die im Januar 1943 wegen angeblichem Hochverrat vom NS-Reichskriegsgericht zum Tode verurteilt und am 5. August 1943 in Berlin-Plötzensee durch das Fallbeil getötet wurde.
Die freigeistige Cato wurde in Bremen geboren und wuchs in Fischerhude auf. Dort, im kleinen Bauerndorf an der Wümme, hatte sie sich als junges Mädchen aus eigenem Antrieb von Gemeindepastor Günter Tidow (1905-1971) taufen und 1935 konfirmieren lassen. In Tidow, Schwiegersohn des hannoverschen Landesbischofs August Marahrens, fand sie einen Gesprächspartner, der der Jugend zugewandt war und sie mit der Bibel und wichtigen Werken der Weltliteratur bekanntmachte.
Am 10. Mai 1943 wandte sich der Fischerhuder Kirchenvorstand mit einem Gnadengesuch an das Reichskriegsgericht - ohne Erfolg. Nach der Hinrichtung verkündete der Lilienthaler Superintendent Friedrich Frerichs (1903-1982) im Gottesdienst den Tod von Cato Bontjes van Beek, sprach eine Fürbitte und ließ die Kirchenglocken läuten. Nicht ohne Folgen: Am 11. September wurde er von der Gestapo festgenommen und blieb für mehrere Wochen in Haft. (9035/09.11.20)