Seit dem Spätsommer 2015 engagieren sich Hunderte Helfer in den Initiativen im Kirchenkreis für flüchtende Menschen. Dutzende Hilfsprojekte laufen auf Hochtouren. Wie stellt sich die Arbeit jetzt dar? Was ist gelungen? Welches sind die Herausforderungen? Beim Kirchenkreistag des Ev.-luth. Kirchenkreises Osterholz-Scharmbeck im Medienhaus im Campus zogen Vertreter von Initiativen, Parlamentarier und Diakonischem Werk am vergangenen Freitag eine erste Im Ganzen positive Zwischenbilanz.
Rückenwind erhielten die Helfer von Dr. Wolfgang Reinbold, einem Migrationsexperten aus dem Haus kirchlicher Dienste in Hannover. Er sieht die Osterholzer Initiativen als starken biblischen Auftrag: In der Evangelischen Kirche beziehen wir uns auf den Gott, der sich Migranten aus Ägypten am Sinai offenbart“. Das biblische Gebot der universal gültigen Liebe zum Fremdling und das Gebot der Nächstenliebe seien die zentralen biblischen und kirchlichen Leitlinien. Das Gleichnis vom barmherzigen Samariter, dem „Fremdling“, der sich überraschend und mitmenschlich einsetzt, ohne nach Herkunft und Religion zu fragen, könne auf die heutige Wahrnehmung übertragen werden.
An die Stelle des Samariters, so Reinbold, könnten wir heute auch den syrischen Moslem setzen“. Nächstenliebe werde nicht durch Gemeinde und Nation begrenzt. Dafür stehe auch das Gedankengut des Apostels Paulus. Fremden- und Nächstenliebe seien „der Prüfstein für die Kirche bei der Antwort auf die Frage, wie wir uns für andere engagieren“.
Er plädierte für eine Haltung der Kirche, die Demut, Zutrauen in die eigene Tradition, Empathie und Gastfreundschaft mit einem klaren Blick für die Unterschiede der Kulturen und Religionen verbindet. Umfassende Hilfe ja – aber keine Preisgabe christlicher Standards aus Anbiederung und falsch verstandener Rücksichtnahme auf andere Religionen. „Christliche Feiertage dürfen nicht leichtfertig in Winterfeste umgemodelt werden“, sagte Reinbold.
Beim Thema Kirchenasyl, das von den Kirchenvorsteherinnen Birgit Haensgen (Schwanewede) und Irene Hüffmeier (Lilienthal) in der Debatte angesprochen wurde, rät Reinbold zur sorgfältigen Überprüfung, „ob im Einzelfall Gründe für unbillige Härten für die Flüchtlinge“ vorlägen. Beim Kirchenasyl werde bekanntlich „Rechtsbruch in Maßen geduldet“. Auf diesem Hintergrund sei der Vorgang „juristisch unschädlich“. Heike Schumacher gab dem gegenüber zu bedenken, „dass angesichts der Zeitabläufe nun durchaus häufiger eine Beendigung des Aufenthalts anstehe“. Das Thema werde daher „virulenter“. Kirche müsse mit dem Kirchenasyl „sehr verantwortungsvoll umgehen, damit die Akzeptanz in der Gesellschaft für die Geflüchteten nicht verloren gehe“.
Im Hinblick auf die Migrationsarbeit sind die Hilfsangebote der Initiativen im Kirchenkreis vielfältig, effektiv und sehr gut nachgefragt: Dies ist das Resümee, das die neuen Migrationsberaterinnen Doris Stroncik (St. Willehadi) und Anne Hordijk (Diakonisches Werk) sowie Norbert Mathy und die Hilfsinitiativen im gemeinsamen Erfahrungsaustausch zogen. Laut Norbert Mathy, Geschäftsführer des Diakonischen Werkes, kümmern sich nun drei Mitarbeiterinnen um die Anliegen von Migranten. Von den 1533 Asylsuchenden im Landkreis Ende 2016 habe das Team rund 1000 Personen erreicht. Weitere Menschen würden über die Tafel und die Schwangerschaftsberatung betreut. Stellvertretend für viele Aktivitäten in den Gemeinden stehen die Ausführungen von Pastor Björn Beißner (Hambergen). In Hambergen hilft das Café International seit zwei Jahren wöchentlich mehr als 40 Migranten. Hinzu kommen die Kleiderkammer, die Fahrradvermittlung, Patenschaften, Hausaufgabenservice, Ämterhilfe, Sprachkurse, Kinderbetreuung und Fahrdienste für die Ankömmlinge. „Die Hilfe greift, die Migranten sind immer besser orientiert, und der Betreuungsbedarf wird so geringer“, sagte Beißner. Dieter Murken (Kirchenvorstand in St. Willehadi) und Pastor i.R. Klaus Fitzner (Schwanewede) freuen sich über „das Engagement vieler älterer und bislang kirchenferner Personen“. Kirche gewinne so an Strahlkraft und mobilisiere langfristig neue Unterstützer.
Im Zusammenhang mit den geschilderten Aktivitäten - dies betonte Superintendentin Rühlemann – sei auch die gute Zusammenarbeit mit den Kommunen und verschiedenen Hilfsorganisationen hervorzuheben.
Die dringendsten Aufgaben sehen die Gemeinden darin, Wohnungen zu beschaffen, Sprachbarrieren zu überwinden, Praktika und Arbeitsplätze einzufädeln. Helfer betonen die „gegenseitige Toleranz und Offenheit“, jedoch auch teils „parallele Glaubenswelten, die sich wenig berühren“. Einerseits seien gemeinsame Gottesdienste zwischen Christen verschiedener Kulturen gängige Praxis. So lädt etwa St. Willehadi am 14. Mai, 18.00 Uhr, zu einem interkulturellen Gottesdienst ein. „Wir probieren das auf Deutsch, Persisch und Arabisch“. Auf das Ergebnis ist Pastor Stephan Dreytza gespannt. Andererseits sind Glaubensfeste zusammen mit Muslimen laut den Initiativen aber beidseitig „mit vielen Vorbehalten behaftet“.
Der Austausch der Erfahrungen und Aktivitäten zeigte auf diese Weise, was möglich ist, wo aber auch Grenzen wahrgenommen und – soweit möglich - überwunden werden müssen. Patenrezepte sind nicht gefragt, sondern ein sensibler Umgang mit Herausforderungen und Problemstellungen. Insbesondere komme es in Zukunft verstärkt darauf an, nicht nur unmittelbare Hilfe zu leisten, sondern das Ziel der Integration durch aktive und praktische Arbeit zu befördern.
Superintendentin Jutta Rühlemann zieht ein positives Resümee des Austauschs aller Engagierten. „Die Einblicke in neue Erfahrungen und Praxisbeispiele sind lebendige und wichtige Impulse für ein erfolgreiches und koordiniertes weiteres Handeln“.
Roland Hofer, Öffentlichkeitsarbeit Kirchenkreis Osterholz-Scharmbeck