Bad Bederkesa (epd). In den vergangenen drei Jahrzehnten zog sich nach Angaben der scheidenden Telefonseelsorgerin Ulla Huntemann-Clasen das Thema Einsamkeit wie ein roter Faden durch eine Vielzahl von Krisengesprächen am Hörer der Notruf-Hotline. "Einsamkeit war immer schon ein Problem - und ist es bis heute", sagt die Leiterin der Telefonseelsorge im Elbe-Weser-Raum dem Evangelischen Pressedienst (epd). Sie hat vor 27 Jahren in der Region die Telefonseelsorge aufgebaut, die heute rund um die Uhr unter den gebührenfreien Rufnummern 0800/1110111 und 0800/1110222 erreichbar ist.
Eine Reihe von Suiziden im Kreis Cuxhaven führte zur Gründung der Telefonseelsorge, die ihren Sitz in Bad Bederkesa hat und eine von bundesweit 105 Stützpunkten dieser Art ist. Vergangenes Jahr gingen Huntemann-Clasen zufolge 17.000 Anrufe bei der Telefonseelsorge Elbe-Weser ein - durchschnittlich 47 Anrufe pro Tag. "Die durchschnittliche Gesprächsdauer lag bei einer knappen halben Stunde", bilanziert die frühere Kauffrau und spätere Diakonin und Religionspädagogin. "Hauptthemen waren neben Einsamkeit und Ängsten das körperliche und seelische Be-finden und immer wieder auch familiäre Beziehungen."
In Bad Bederkesa und in einer Außenstelle in Stade sitzen derzeit im Schichtsystem 84 Ehrenamtliche am Hörer, die alle eine gründliche Ausbildung absolviert haben. "Ob man gut miteinander ins Gespräch kommt, entscheidet sich in den ersten Sekunden", hat Huntemann-Clasen erfahren.
"Früher haben wir begleitet, haben einfühlsam gespiegelt, was uns der Anrufer sagt. Heute fragen wir auch nach, versuchen in Krisen Stärken des Hilfesuchenden herauszuarbeiten, Inseln, auf denen es ihm besser geht", beschreibt sie eine Entwicklung der vergangenen Jahre.
Die Nummer der Telefonseelsorge werde aber längst nicht nur in akuten Notsituationen gewählt, sondern auch als Alltagsbegleitung von Menschen angerufen, die sonst keinen Gesprächspartner hätten. "Einsamkeit kann töten. Dann ist es wichtig, aus der Sprachlosigkeit herauszukommen. Bei der Telefonseelsorge und einer 2002 eingerichteten Chat-Seelsorge sind Menschen erreichbar, die vorurteilslos zuhören."
"Wir begleiten, wir ermutigen, wir senden das Signal, dass der Mensch am anderen Ende der Leitung nicht alleine ist und verweisen möglicherweise auf weitergehende Hilfen", erläutert Huntemann-Clasen die wichtigste Leitlinie der Telefonseelsorge. "Manchmal genügt es schon, die Probleme in einem Gespräch in Worte zu fassen, damit sie ihren Schrecken verlieren." So gehe die Zahl der Suizide in Deutschland seit Jahren zurück. "Daran hat die Telefonseelsorge mit ihrer Arbeit sicher ihren Anteil."
Info: Die scheidende leitende Telefonseelsorgerin Ulla Huntemann-Clasen wird am Sonntag, 7. August, ab 16.30 Uhr mit einem Gottesdienst in der evangelischen Dionysiuskirche Bremerhaven-Wulsdorf (Am Jedutenberg) verabschiedet. Ihr Nachfolger Daniel Tietjen, bis vor kurzem noch Stadtjugenddiakon in Bremerhaven, übernimmt dann den Dienst.
Die Telefonseelsorge ist rund um die Uhr unter den beiden bundeseinheitlichen gebührenfreien Rufnummern 0800/1110111 und 0800/1110222 zu erreichen.
Telefonseelsorge
Bad Bederkesa (epd). Die Telefonseelsorge in Deutschland ist unter den Nummern 0800/1110111 und 0800/1110222 rund um die Uhr kostenfrei und anonym erreichbar. Unter dem Motto "Sorgen kann man teilen" werden hier jährlich rund 1,8 Millionen Gespräche geführt. An 105 Stellen bundesweit, unter anderem in Bad Bederkesa bei Bremerhaven, stehen etwa 7.500 geschulte, ehrenamtliche Mitarbeiter mit vielseitigen Lebens- und Berufskompetenzen Ratsuchenden zur Seite. Sie unterliegen einer Schweigepflicht.
Die Rufnummer des Anrufers erscheint nicht auf dem Display, das Gespräch mit der Telefonseelsorge wird nicht auf dem Einzelverbindungsnachweis der Telefonrechnung aufgeführt. Die Deutsche Telekom trägt die Gebühren für die unter den beiden Sondernummern geführten Gespräche. Die Telefonseelsorge ist auch per Chat und E-Mail über www.telefonseelsorge.de erreichbar.
Die Telefonseelsorge in Deutschland wurde 1956 in Berlin von Klaus Thomas begründet, einem Arzt und Theologen. Die Organisation nannte sich zunächst "Ärztliche Lebensmüdenbetreuung". Es sind bei weitem nicht nur Suizidgedanken, die Ratsuchende die Nummer der Telefonseelsorge anrufen lassen. Auch über Probleme in der Beziehung, Mobbing in der Schule oder am Arbeitsplatz, Arbeitsplatzverlust, Sucht, Krankheit, Einsamkeit, Sinnkrisen oder spirituelle Fragen wird häufig gesprochen.
In Deutschland ist der Name "Telefonseelsorge" seit 1999 markenrechtlich geschützt. Inhaber der Marke sind die Evangelische Konferenz für Telefonseelsorge und Offene Tür e.V. (Berlin) und die Katholische Bundesarbeitsgemeinschaft für Beratung e.V. (Bonn). Die Telefonseelsorge will für jeden da sein, auch für Menschen ohne Kirchenzugehörigkeit.
Dieter Sell, epd