Cuxhaven (epd). In der aufkommenden Dämmerung schiebt sich ein gewaltiger Containerfrachter an der Cuxhavener Kugelbake vorbei. Zeit für Urlauberseelsorgerin Maike Selmayr, etwas weiter unten am Strand ein hölzernes Kreuz aufzustellen. Regelmäßig feiert sie hier am Wahrzeichen der Stadt Cuxhaven und am nördlichsten Punkt Niedersachsens eine abendliche Strandandacht, zu der Urlauber sogar bei Orkanböen kommen. Es gibt in ihrer Arbeit auch Momente, in denen Feriengäste wegen einer Krise vor allem das Gespräch suchen.
Heute Abend aber ist etwas Besonderes zu feiern: Eine Urlauberin will sich von Selmayr im Meer taufen lassen. Sie habe hier schon als Kind Ferien gemacht, erzählt die 42-jährige Berlinerin Jana Westen. "Und die Kugelbake war für mich immer ein Ort, zu dem man hinlaufen muss, um einen weiten Blick zu bekommen und über sich nachzudenken."
Zu sich kommen - dazu will auch die evangelische Pastorin Selmayr mit ihrer Abendandacht unter dem weiten Himmel der Nordsee beitragen. Gerade spielt sie für die spontan versammelte Urlaubergemeinde und den "Täufling" auf der Querflöte. Die Gruppe nimmt die Berlinerin im weißen Taufkleid in ihre Mitte und streckt segnend die Arme. "Durch Sonnentage, Stürme und durch Regen hält der Schöpfer über Dir die Wacht", singen sie an dem Ort, der den Blick über das Watt bis zum Horizont freigibt.
Seit drei Jahren arbeitet Selmayr als Urlaubsseelsorgerin in Cuxhaven, dem mit rund 3,5 Millionen Übernachtungen größten Nordseeheilbad Deutschlands. Sie folgt damit wie Jana Westen einer Kindheitssehnsucht: "Regelmäßig bin ich mit meinen Eltern von Karlsruhe aus im Urlaub an die Nordsee gefahren. Hier bekam ich Luft, hier wehte immer ein frischer Wind. Ich schaute übers Meer und war glücklich."
In diesen Wochen sind es insbesondere Gäste aus Nordrhein-Westfalen und Süddeutschland, die wohl ähnlich empfinden und sich am zehn Kilometer langen Strand zwischen Cuxhaven und den Ortsteilen Duhnen, Döse und Sahlenburg tummeln. Urlaub - das ist Sehnsucht nach Freiheit, Neues erleben, weit weg von Pflichten und Terminen.
Selmayr lädt dazu ein, neben dem Sonnenbad im Strandkorb und Ausflügen im Wattwagen auch in der Kirche Abstand vom Alltag zu gewinnen. Rund 500 Veranstaltungen organisiert sie im Jahr, "Gutenachtgeschichten" und die Strandandachten sind besonders beliebt. "Hier kann man alles hinter sich lassen und im Watt auf dem Meeresboden das Leben spüren", sagt die Pastorin. "Was uns im Alltag so groß erscheint, relativiert sich hier angesichts der Schöpfung."
Mit ihr sind in diesem Jahr Hunderte Haupt- und Ehrenamtliche für die Kirche im Tourismus zwischen Nordseeküste und Alpengipfeln unterwegs. Urlaubsseelsorger der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) arbeiten überdies an mehr als 70 Orten in ganz Europa. "Wir sind auch auf Kreuzfahrtschiffen präsent - und da gibt es einen ganz besonders hohen Bedarf", sagt Oberkirchenrat Michael Schneider, der für die Urlaubsseelsorge der EKD verantwortlich ist. "Sorgen und Nöte aus dem Alltag begleiten die Menschen eben bis in den Urlaub - und auf dem Schiff gibt es keine Möglichkeit, dem zu entfliehen."
Es sind oft Ältere, die erst kürzlich ihren Partner verloren haben und nun das Gespräch mit dem Seelsorger suchen. Das kennt auch Maike Selmayr. "Wenn der Alltag in den Hintergrund rückt, bleibt Zeit zum Nachdenken. Dann kommen Trauer, Ängste und Sorgen hoch. Oder Eheprobleme beispielsweise nach einem Seitensprung". Manchmal reicht es schon, dass die Ferienwohnung nicht passt oder es drei Tage lang regnet - "dann kann es richtig knallen".
Es sind nicht wenige, die dann Selmayr ihr Herz ausschütten. "Da hilft die Anonymität am Urlaubsort", ist die 43-jährige Theologin und ehemalige Pilger-Pastorin der hannoverschen Landeskirche überzeugt. "Manchmal scheint es leichter, mit jemandem zu reden, der im Alltag weit weg ist."
Doch an diesem Abend am Strand der Grimmershörner Bucht vor Cuxhaven scheinen alle Sorgen weit weg. Durchweg lachende Gesichter begleiten die Berlinerin Jana Westen bei ihrer Taufe am Meer, wildfremde Menschen kommen mit Glück- und Segenswünschen auf sie zu. "So etwas habe ich noch nie erlebt", sagt Westen gerührt.
Damit Urlauber wie in Cuxhaven Angebote der Kirche annehmen, brauche es eine "Willkommenskultur", sagt EKD-Experte Schneider: "Das beginnt bei offenen Kirchentüren und führt über frische Blumen auf dem Altar und einer unkomplizierten Liturgie im Gottesdienst bis zu den Fürbitten, in die die Gäste eingeschlossen sind".
In der Kapelle der Urlaubsseelsorge am Dohrmannplatz in Cuxhaven-Duhnen können Gäste neben dem Altar Kerzen anzünden, wer will, trägt sich ins Gästebuch ein. Am einfachsten aber bleibt der Kontakt bei Freiluftgottesdiensten, sagt Maike Selmayr: "Da muss man keine Schwelle überwinden". Jana Winter jedenfalls hat vor allem der persönliche Kontakt und die offene Art der Urlaubsseelsorgerin überzeugt: "Sie hat mein Herz bewegt." (1011/11.08.16)
Dieter Sell, epd Niedersachsen-Bremen