Pastorinnen und Diakone besuchen die „Gedenkstätte Lager Sandbostel“
Einzelne rote Rosen beleben das Immergrün. Hier und da aufgestellte Kreuze und Kerzen lassen erahnen, dass in den Massengräbern unzählige Menschen mit einer je eigenen Persönlichkeit ruhen. Zeichen der Trauer, die Angehörige aus Russland oder Serbien, Polen oder Italien aufstellten bei einer ihrer Reisen in das niedersächsische Sandbostel.
Fern der Heimat hatten ihre Verwandten als Kriegsgefangene oder als KZ-Häftlinge im Lager Sandbostel den Tod gefunden und wurden in der Kriegsgräberstätte Sandbostel bestattet. Fast 70 Jahre nach Ende des zweiten Weltkrieges sind die Schicksale der Häftlinge des Lagers Sandbostel bei Selsingen unvergessen, trotz jahrzehntelangem Hin und Her um die Baracken als Gedenkort.
Anstelle ihrer alljährlichen Betriebsbesichtigung besuchte die Kirchenkreiskonferenz Buxtehude in diesem Jahr die neu gestaltete „Gedenksstätte Lager Sandbostel“ und die Kriegsgräberstätte in dem Oste-Dorf. Diakoninnen und Diakone, Pastorinnen und Pastoren, die Kreiskantorin sowie Wulf Gräntzdörffer vom „Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt“ ließen sich von Gedenkstättenpädagogin Carola Pliska durch die Dokumentation und das Lagergelände führen. Sie informierte sowohl über die menschenverachtenden Verhältnisse in dem damaligen Kriegsgefangenen-Mannschafts-Stammlager (Stalag) XB als auch über die heutige Erinnerungsarbeit mit Kopf, Herz und Hand. Die friedenspädagogischen Angebote erreichen Jugendliche vor Ort und aus ganz Europa.
In einer Andacht brachten die kirchlichen Mitarbeiter auf dem Lager-Friedhof ihre Anteilnahme zum Ausdruck. Bei Besuchen in den Gemeinden hören Seelsorger mitunter Berichte von Landwirten, denen damals Häftlinge auf den Höfen zugeteilt waren. Gelegentlich kommen in den Gesprächen jahrelang verschwiegene Erlebnisse von Frauen zur Sprache: Nach der Befreiung hatten sie sich als junge Mädchen mit den erschreckenden Lagerzuständen konfrontiert gesehen, als sie von der britischen Armee dazu verpflichtet wurden die Überlebenden zu pflegen und die Toten zu bestatten.
Carola Pliska freute sich über den Besuch aus dem Kirchenkreis Buxtehude: „Erinnerungsarbeit weist in die Zukunft. Sie alle sind Multiplikatoren für unsere pädagogischen Angebote.“ Stolz zeigte sie von Schülerinnen und Schülern gestaltete Tontafeln, auf die sie die Namen und Lebensdaten von Häftlingen aus dem Stalag XB geschrieben haben.
Ein Team von 18 ausgebildeten Gästeführerinnen und Pädagogen bietet altersgerechte Rundgänge und Projekttage für Jugendliche und Erwachsene. Die Kirche stellt zudem einen Diakon mit friedenspädagogischem Auftrag. In der Freizeit- und Begegnungsstätte Oese können Gruppen für ihren mehrtägigen Besuch in der Gedenkstätte eine ansprechende Unterkunft finden nach einem erlebnisreichen Tag in Sandbostel.
Mehrere Hunderttausend Kriegsgefangene, Zivil- und Militärinternierte aus 55 Ländern durchliefen bis zum Kriegsende das Stalag XB. Die meisten von ihnen waren in ganz Norddeutschland in mehr als 1100 Arbeitskommandos des Lagers in Landwirtschaft, Industrie und Rüstungsproduktion eingeteilt. 313.000 Namen konnten bislang dem Lager Sandbostel zugeordnet werden. In dem 1939 von der Wehrmacht eingerichteten Lager waren Demütigungen, Unter- und Mangelernährung sowie Krankheiten an der Tagesordnung. Für Zehntausende führten diese Bedingungen zum Tod. Besonders zu leiden hatten die sowjetischen Häftlinge, denen der Schutz durch das Kriegsvölkerrecht versagt wurde.
Von den im April 1945 aus dem Konzentrationslager Neuengamme in Sandbostel ankommenden 9500 Häftlingen starben mehr als 3000 während des Transports, im Lager oder in den ersten Wochen nach der Befreiung am 29. April 1945. Nach Kriegsende nutzte zunächst die britische Armee das Areal als Internierungslager für Angehörige der Waffen-SS. Danach erfolgten unterschiedliche Nutzungen des Geländes. Ein Großteil der Baracken verfiel. 2005 und 2008 erwarb die Stiftung Lager Sandbostel einen 3,2 Hektar großen Teil des ehemaligen Lagergeländes, richtete die Gedenkstätte ein und sanierte mehrere historische Gebäude. Zuvor hatte ein Gedenkstättenverein die Dokumentationsarbeit aufrecht erhalten und einen Beitrag geleistet, um die Erinnerung an die im Lager Sandbostel erlittenen Schicksale wach zu halten.
20.05.2014 Christa Haar-Rathjen