Der unabhängige Forschungsverbund ForuM hat heute seine Studie „Forschung zur Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt und anderen Missbrauchsformen in der Evangelischen Kirche und Diakonie in Deutschland“ der Öffentlichkeit vorgestellt.
Die Landeskirche Hannovers hat in die Studie einen Fall von sexualisierter Gewalt eingebracht, den die Forschenden in den Teilprojekten A und B behandelt haben. Im Teilprojekt E hat die Landeskirche wie vom Forschungsverbund angefordert in zwei Teilschritten Daten von Fällen sexualisierter Gewalt zur Verfügung gestellt. Im Teilschritt 2 lagen dieser Datenübermittlung als Quellen Disziplinarakten und die entsprechenden Personalakten von Pfarrpersonen sowie weitere Akten und Meldungen bei der telefonischen Hotline der Landeskirche im Jahr 2010 zugrunde. Details zu den Quellen der Datenerhebung finden Sie unten.
Aus beiden Teilschritten im Teilprojekt E zusammen ergeben sich für die Landeskirche Hannovers 110 Fälle sexualisierter Gewalt mit 110 beschuldigten Personen und mindestens 140 betroffenen Personen, die zum Tatzeitpunkt minderjährig gewesen sind. Unter den 110 Beschuldigten sind 62 Pastoren.
Alle Fälle, in denen die beschuldigten Personen noch leben, hat die Landeskirche den Staatsanwaltschaften vorgelegt. In den Fällen, die bisher nicht öffentlich bekannt sind, macht die Landeskirche Details grundsätzlich nur nach Zustimmung der Betroffenen öffentlich.
Seit der Datenübergabe an den Forschungsverbund sind in der Landeskirche noch weitere zwölf Fälle aus dem Bereich der sexualisierten Gewalt bekannt geworden, unter den Beschuldigten ist eine Pfarrperson. Insgesamt sind der Landeskirche aktuell 122 bestätigte Fälle oder Verdachtsfälle auf Sexualisierte Gewalt bekannt. Unter den beschuldigten Personen sind 63 Pastoren (alle männlich).
Landesbischof Ralf Meister sagt:
„Die Zahl von 122 Fällen, die wir jetzt für die Landeskirche Hannovers vorlegen, bildet ausdrücklich nur einen Ausschnitt davon ab, wie viele Betroffene seit 1945 in unserer Landeskirche Sexualisierte Gewalt erlitten haben. Die Zahlen machen zudem deutlich, wie auch Strukturen gerade in der evangelischen Kirche sexualisierte Gewalt ermöglichen.
Die heute vorgestellte ForuM-Studie legt den Fokus darauf, die Faktoren zu identifizieren und zu untersuchen, die in den evangelischen Kirchen und in der Diakonie in der Vergangenheit und bis heute sexualisierte Gewalt ermöglichen und Aufklärung verhindert oder verzögert haben. Die in der Studie genannten Zahlen und die aktuelle Diskussion um die Zahlen dürfen nicht den Blick auf die Beiträge der Betroffenen verstellen.
Die Strukturen, die in unseren Landeskirchen einer konsequenten Aufklärung entgegenstanden und -stehen, wurden untersucht. Wichtig war, dass die Perspektive der Betroffenen dabei neben der Aktenlage maßgeblich im Fokus stand. Mit ihnen gemeinsam müssen wir jetzt zunächst sorgfältig die Ergebnisse und Empfehlungen analysieren. Die Schlussfolgerungen dieser Analyse sind grundlegend für die weitere Umsetzung von Aufarbeitung und Prävention.
Wir müssen in unserer Kirche weiter an einer Kultur arbeiten, in der Sexualisierte Gewalt keinen Raum hat und in der Betroffene ermutigt werden, Unterstützung in Anspruch zu nehmen.“
Hinweis zur Datenerhebung für das Teilprojekt E
Für die Datenerhebung zum zweiten Teilschritt im Teilprojekt E hat die Landeskirche Hannovers die folgenden Quellen berücksichtigt:
Quelle 1: alle Anträge der Unabhängigen Kommission zur Anerkennung des erfahrenen Leids (Anerkennungsleistungen bis 2020)
Quelle 2: alle Anträge der Anerkennungskommission bis 05.2022
Quelle 3: alle Disziplinarakten der Landeskirche bis 1999
Quelle 4: alle Disziplinarakten der Landeskirche ab 1999
Quelle 5: Kündigungsliste aller privatrechtlichen Mitarbeitenden
Quelle 6: Statistik der telefonischen Hotline der Landeskirche aus 2010
Nach Identifizierung eines Falls wurden die korrespondierenden Personalakten der beschuldigten Personen für die weitere Recherche hinzugezogen.
Benjamin Simon-Hinkelmann, Pressesprecher der hannoverschen Landeskirche