„Wir müssen unseren Blick auf Frauen, die Macht haben, verändern“, fordert Landesfrauenpastorin Susanne Paul. „Noch immer werden Frauen, die Macht ergreifen und nutzen, Vorbehalte entgegengebracht, häufig sogar von ihren Geschlechtsgenossinnen“. Einen Anlass dazu bietet für Paul der diesjährige Frauensonntag am 6. Juni. „Er stellt mit Richter 4-5 eine Erzählung aus dem Alten Testament in den Mittelpunkt, in der mit Deborah und Jael zwei ungewöhnlich machtvolle Frauen eine Rolle spielen“. Vom Haus kirchlicher Dienste unterstützt haben sich viele Frauen in Gemeinden und Kirchenkreisen auf den Gottesdienst am 6. Juni vorbereitet.
„Der Bibeltext hat zu kontroversen Diskussionen geführt“, berichtet Paul. „Deborah, die einzige weibliche Richterin des Volkes Israel, ruft zum Krieg auf und Jael tötet einen feindlichen Heerführer, der bei ihr Schutz gesucht hatte, im Schlaf.“ Kann ein Text, der so offen von Gewalt handelt, für die Frauen heute noch Orientierung bieten? Der Text sei kein Appell, Konflikte mit Gewalt zu lösen, er müsse diesbezüglich in seinem historischen Kontext gelesen werden, sagt die Landesfrauenpastorin. Wenn darin allerdings von Frauen als Kriegsbeute die Rede sei und Jael möglicherweise ihre Vergewaltigung gerächt habe, bekomme der Text für heutige Frauen eine aktuelle Dimension, sagt die Pastorin. „Leider gehören diese Themen für viele Frauen auch heute noch zu ihrer eigenen oder zu der Geschichte ihrer Familien“. So biete der Text Frauen den Anlass, sich sowohl mit erlittener als auch ausgeübter Gewalt aus Frauenperspektive auseinanderzusetzen.
„Über diese schmerzhaften und schweren Themen hinaus enthält der Richter-Text aber auch eine Ermutigung zum ‚Empowerment‘ für Frauen“, sagt Paul. Besonders Deborah sei eine Frau, die sich über Konventionen hinweggesetzt und selbstbewusst ein machtvolles öffentliches Amt ausgeübt habe. „Junge Frauen und Mädchen brauchen Rollenvorbilder“, fordert die Landesfrauenpastorin. Zwar sei die Gleichberechtigung in der heutigen Gesellschaft schon weit fortgeschritten, doch noch immer seien es häufig die Frauen, die zugunsten der Familie ihre beruflichen Ambitionen zurücksteckten. „Neueste Zahlen zeigen, dass besonders in den qualifizierten Berufen die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen eher zu- als abgenommen hat“, stellt Paul fest. Nachholbedarf sieht sie allerdings auch bei den Frauen selber. „Oft sind Frauen die schärfsten Kritikerinnen von Frauen. Was aber häufig fehlt, sind unterstützende weibliche Netzwerke wie sie bei Männern üblich sind.“
Für Paul geht von dem diesjährigen Frauensonntag eine deutliche Botschaft aus. „Gewalt ist für uns keine akzeptable Form der Konfliktlösung, doch weibliche Macht muss mehr gesellschaftliche Anerkennung finden. Machtvolle Frauen haben schon immer die Geschichte der Menschheit mitbestimmt und auch wir Heutigen haben diese Möglichkeit mehr denn je.“ Offiziell wird der Gottesdienst zum Frauensonntag am 1. Sonntag nach Trinitatis gefeiert, aber je nach örtlichen Gegebenheiten und Absprachen wird der Gottesdienst in manchen Gemeinden auch auf einen späteren Termin verlegt.
Anna Findert, Öffentlichkeitsarbeit Haus kirchlicher Dienste